Dienstag, 7. Oktober 2008

Das verfaulte Kapital

Medial ist der kleine Bürger ja jetzt schon mitten in der "Finanzkrise" angekommen. Die großen Medienkanäle widmen dem Thema einen beträchtlichen Teil Ihrer Bandbreite und auch "die Politik" hantiert jetzt fleißig mit der Krise.

Doch was ist eigentlich passiert? Heruntergebrochen auf das Notwendigste, stellt sich die aktuelle Finanzkrise so dar:

Gewaltige globale Unternehmenskonstrukte betreiben einen weitgehend unreglementierten Finanzmarkt. Die dort gehandelten "innovativen Produkte" bestehen im Wesentlichen aus beliebigen Zusagen, welche die Werthaltigkeit der Produkte betreffen. Der Wert der im Umlauf befindlichen Produkte bestimmt sich also alleine durch das Vertrauen, welches sich die Marktteilnehmer untereinander entgegenbringen.

Der liberale, aber intransparente Markt, die ungegenständliche Natur der gehandelten Güter und die inhärente Skrupellosigkeit der Marktteilnehmer führte dazu, dass zuletzt im großen Stil real wertlose Produkte zu überteuerten Preisen auf dem Markt gehandelt wurden.

Irgendwann stellten die Marktteilnehmer fest - oh', wie unerwartet! - dass man sich gegenseitig aus Profitgier wertlosen Mist angedreht hat. Das gegenseitige Vertrauen verflüchtigte sich implosionsartig und der Markt für die entsprechenden Produkte brach zusammen. Die "leicht erzeugbaren" faulen Produkte stellten jedoch schon einen ziemlichen Anteil des frei gehandelten Kapitals dar. Aufgrund der Abwertung des von den einzelnen Banken besessenen "faulen" Kapitals konnten die Banken den gegenseitig ausstehenden Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Das System der Spekulanten wurde instabil.

Hinzu kommt der Effekt der "selbsterfüllenden Prophezeiung". Die Abwertung des im Markt liegenden (virtuellen) Kapitals erfolgt nicht in dem Maße wie es ohne den "erdrutschartigen Erkenntnisgewinn" passiert wäre. Die Fäule der Produkte überträgt sich überproportional auch auf deren Eigner. Dieser Effekt führt dazu, dass schon Gerüchte über den Besitz entsprechender Produkte die Pleite eines Finanzunternehmens verursachen, weil es in den Augen der anderen Marktteilnehmer absolut kreditunwürdig geworden ist. In einem solchen Fall ziehen aufgrund des entstandenen Misstrauens zusätzlich alle Gläubiger ihr Kapital aus dem betroffenen Unternehmen ab. Das Unternehmen wird zahlungsunfähig und zieht bei der Gelegenheit auch gleich seine nun unbedienbaren Gläubiger mit. Dieser Effekt wurde (wenigstens) zu Beginn der Krise von Finanzunternehmen anscheinend noch gerne gegen die eigene Konkurrenz eingesetzt.

Der Apparat, welcher das Kapital der globalen Wirtschaft verwaltet, bricht derzeit zusammen und wird die real-mehrwertproduzierende Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft sind derzeit nicht einmal abschätzbar. Was ähnliche Krisen in der Vergangenheit für Folgen hatten ist hoffentlich hinlänglich bekannt.

Offen bleibt die Frage, was unsere Gesellschaft dazu bringt, ausgerechnet den für Sie lebenswichtigen Teil der Kapitalverwaltung völlig dereguliert einigen zu nichts als dem Profit verpflichteten Unternehmenstrukturen ohne jede moralische Instanz zu überlassen.

Fraglich ist auch, ob sich an dieser unsäglichen Situation in der Konsequenz der Krise etwas ändern wird. Wahrscheinlich nicht: Ausgerechnet jene politischen Entscheidungsträger, welche sich in der Vergangenheit für eine fortschreitende Deregulierung des Finanzmarktes (wie üblich populistisch begründet mit der Erhaltung unserer Konkurrenzfähigkeit im globalisiertem Markt) und für eine Altersabsicherung der Bürger über ebenjene Systeme eingesetzt haben, sollen den Karren nun aus dem Dreck ziehen. Die Chancen dafür stehen also schlecht.

Die Bankenlobby nutzt die Krisensituation kreativ in erpresserischer Weise. Die Massenmedien kommunizieren dem Bürger mittlerweile Panik und die Politik beschließt hastig die von der Finanzlobby empfohlenen Maßnahmen. Das derzeitige Krisenmanagement sieht dann auch entsprechend aus: Unsummen an Steuergeldern werden in dem Markt gepresst, um das "gegenseitige Vertrauen der Finanzhändler" etwas zu verbessern. Gesellschaftliches Eigentum fließt so in bisher schier für unmöglich gehaltenen Größenordnungen unverholen in private Hand - ohne jede realistische Gegenleistung!

Diese Tage wurden von der Bundesregierung "übers Wochenende" dem Immobilienfinanzierer "Hypo Real Estate" mehr als 50.000 Millionen Euro als mögliches Geschenk zugesagt. Um die Dimensionen klarzumachen: Das ist weit mehr als die jährlichen Sozial-Ausgaben unseres Staates für das Hartz IV-System (= 35.000 Mio EUR[1])!

Wie ist eine Gesellschaft zu bezeichnen, welche es Entscheidungsträgern ermöglicht, durch verantwortungsloses Handeln einen gesellschaftlichen Schaden in der Größenordnung des Bruttosozialproduktes verursachen, und dieses System (und dessen Verantwortungsträger) nicht bestraft, sondern reichlich beschenkt, während einem Arbeitslosengeld II-Empfänger ("Hartz IV"), für das Verschweigen eines illegal erarbeiteten Tagelohns der letzter Rest einer würdigen Existenz genommen wird?*.

Einfach Köpfe rollen lassen ist jedoch ganz sicher der falsche Weg - auch wenn sich unsere unfähigen Politiker dieses öffentlichkeitswirksame Spektakel wohl nicht entgehen lassen. Viel wichtiger wäre es, dass endlich der neoliberale Kurs aufgegeben wird, der das kranke System erst ermöglicht hat. Doch dazu fehlt der regierenden Koalition mit Sicherheit der Willen und die Kraft, käme es doch dem Eingeständnis eines totalen Versagens gleich.

Sicher ist, das Finanzsystem wird "gerettet" - wenn auch der Bürger dafür direkt bluten muss. Die Systemparadigmen und der grundsätzliche Kurs der Politik werden jedoch bestehen bleiben. Durch die Krise wird das bestehende Finanzsystem weiter verklumpen - mit Steuergeldern aufgepumpte Insolvenzmasse kleinerer Unternehmen wird an die größeren, durchhaltefähigeren Unternehmen verteilt. Am Ende werden bei weitem gewaltigere Strukturen entstanden sein als heute. Selbstverständlich wird dann eine Abkehr von der Ideologie, die zu dieser Tendenz geführt hat, noch unmöglicher sein. Wir werden sehen ...

Update 08.10.2008:

Der Irrsinn kennt anscheinend (vorläufig) keine Grenzen: Heute verspricht die Bundesregierung für Schulden privater Institute bis zu einer Höhe von 1000.000.000.000 EUR (1 Million mal 1 Million!) den Bürger in die Pflicht zu nehmen. Dieser soll mit dieser Summe witzigerweise selbst für sein eigenes Erspartes bürgen. Die hilflose Zusage der Kanzlerin könnte also ebenso auf 1000 Trillionen EUR oder auch ∞ EUR lauten. Im Grunde drückt die Kanzlerin indirekt nur die weitgehende Ohnmacht der Regierung gegenüber der - von ihr selbstverschuldeten! - Situation aus; oder einfach nur ihre gute Kenntnis der geistigen Potenz Ihrer Wähler.
Und noch ein Update: Wie Leflo gerade ausgerechnet hat, könnte man mit der Summe in Euro-Stücken den sichtbaren Teil des Mondes komplett bedecken und hätte noch genug Kleingeld übrig um die restlichen Münzen von Berlin bis zum Mond zu stapeln.

Weblinks

Quellen

[1] Monatsbericht August 2008 Bundesfinanzministerium

*Am Rande: Kann sich noch jemand an die hetzkampagnenartige Thematisierung der "bösen" ALGII-Betrüger Empfänger durch die Mainstreampresse vor wenigen Wochen erinnern?
Dorian (Gast) - 2009-03-21 13:14

Hervorragende Darstellung

Sehr guter Beitrag!!!!
Die Finanzkrise ist gut dargestellt und zwar vor dem Hintergrund der Politik und des Wirtschaftssystems, die diese erst ermöglicht haben!!!
Und schreiben kannst du definitiv!!!!

Ich frage mich, wann die Bürger der betroffenen Länder aufwachen werden und ihre Regierungen zwingen werden, einen neuen Kurs einzuschlagen.
Muss es denn wirklich erst zu Inflation, Suppenküchen und Massenarmut kommen?

Die Staatsverschuldung ist übrigens nicht das Hauptproblem: ein Staat ist um so kreditwürdiger, desto zukunftsfähiger er ist, das heißt: desto leistungsfähiger seine Wirtschaft ist und die ist um so leistungsfähiger, je leistungsfähiger das Bildungs-, Rechts- und Regierungssystem ist.
Und da liegt der Hund in Deutschland begraben.
Alles Geld immer nur in die Wirtschaft gesteckt und Bildung, Recht und Regierungssystem (überteuert und zu bürokratisch) verrotten.

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