Samstag, 10. Mai 2008

Aus gegebenen Anlass

Nach ihrer Machtergreifung entzogen die Nationalsozialisten dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann die deutsche Staatsbürgerschaft. Daraufhin wurde ihm unter anderem auch das 1918 von der Bonner Universität verliehene Ehrendoktorat aberkannt.
Obwohl die Bücher des Exilanten Thomas Mann vor 75 Jahren nicht auf den Scheiterhaufen der Nationalsozialisten landeten, sei hier exemplarisch sein Briefwechsel mit dem Rektor der Bonner Universität in Auszügen dargebracht, da in diesem der Schaden an der deutschen Kultur durch die "exzentrische Barbarei und primitiv-massendemokratische Jahrmarktsrohheit" der Nationalsozialisten dargestellt wird. Der "vor-nationalsozialistischen" deutschen Kultur wurde unter anderem am 10. Mai 1933 in den brennenden Bücherhaufen des fanatisch-geistlosen Mobs dermaßen der Garaus gemacht, daß auch heute lediglich ein Schatten des vormaligen Geistes übriggeblieben ist - auch wenn das wohl vielen unserer Zeitgenossen kaum klar zu sein scheint.
Philosophische Fakultät
der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität
J.-Nr.58 Bonn, den 19. Dezember 1936

Im Einverständnis mit dem Herrn Rektor der Universität Bonn muß ich Ihnen mitteilen, daß die Philosophische Fakultät sich nach Ihrer Ausbürgerung genötigt gesehen hat, Sie aus der Liste der Ehrendoktoren zu streichen. Ihr Recht, diesen Titel zu führen, ist gemäß Art. VIII unserer Promotionsordnung erloschen.

Herrn Schriftsteller Thomas Mann!

[Unleserlich]
Dekan
An den Herrn Dekan
der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn

Sehr geehrter Herr Dekan, ich habe die trübselige Mitteilung erhalten, die Sie unterm 19. Dezember an mich gerichtet haben. Erlauben Sie mir, Ihnen folgendes darauf zu erwidern:

Die schwere Mitschuld an allem gegenwärtigen Unglück, welche die deutschen Universitäten auf sich geladen haben, indem sie aus schrecklichem Mißverstehen der historischen Stunde sich zum Nährboden der verworfenen Mächte machten, die Deutschland moralisch, kulturell und wirtschaftlich verwüsten, — diese Mitschuld hatte mir die Freude an der mir einst verliehenen akademischen Würde längst verleidet und mich gehindert, noch irgendwelchen Gebrauch davon zu machen. Den Ehrentitel eines Doktors der Philosophie führe ich auch heute, da die Harvard-Universität ihn mir aufs neue verliehen hat, und zwar mit einer Begründung, die ich Ihnen, Herr Dekan, nicht vorenthalten möchte.
Aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt, lautet das Dokument: » ... haben wir, Rektor und Senat, unter dem Beifall der ehrenwerten Universitätsinspektoren in feierlicher Sitzung Thomas Mann, den weitberühmten Schriftsteller, welcher, indem er vielen unserer Mitbürger das Leben deutete, zusammen mit ganz wenigen Zeitgenossen die hohe Würde der deutschen Kultur bewahrt, zum Doktor der Philosophie ehrenhalber ernannt und ausgerufen und ihm alle Rechte und Ehren, welche mit diesem Grade verbunden sind, verliehen.«

[ ... ]

Ein deutscher Schriftsteller, an Verantwortung gewöhnt durch die Sprache; ein Deutscher, dessen Patriotismus sich — vielleicht naiverweise — in dem Glauben an die unvergleichliche moralische Wichtigkeit dessen äußert, was in Deutschland geschieht, — und sollte schweigen, ganz schweigen zu all dem unsühnbar Schlechten, was in meinem Lande an Körpern, Seelen und Geistern, an Recht und Wahrheit, an Menschen und an dem Menschen täglich begangen wurde und wird? Zu der furchtbaren Gefahr, die dies menschenverderberische, in unsäglicher Unwissenheit über das, was die Weltglocke geschlagen hat, lebende Regime für den Erdteil bedeutet? Es war nicht möglich. Und so kamen, gegen das Programm, die Äußerungen, die unvermeidlich Stellung nehmenden Gesten zustande, die nun den absurden und kläglichen Akt meiner nationalen Exkommunikation herbeigeführt haben.
Der einfache Gedanke daran, wer die Menschen sind, denen die erbärmlich-äußerliche Zufallsmacht gegeben ist, mir mein Deutschtum abzusprechen, reicht hin, diesen Akt in seiner ganzen Lächerlichkeit erscheinen zu lassen. Das Reich, Deutschland soll ich beschimpft haben, indem ich mich gegen sie bekannte! Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden.
Wohin haben sie, in noch nicht vier Jahren, Deutschland gebracht? Ruiniert, seelisch und physisch ausgesogen von einer Kriegsaufrüstung, mit der es die ganze Welt bedroht, die ganze Welt aufhält und an der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe, ungeheurer und dringender Aufgaben des Friedens, hindert; geliebt von niemandem, mit Angst und kalter Abneigung betrachtet von allen, steht es am Rande der wirtschaftlichen Katastrophe, und erschrocken strecken sich die Hände seiner »Feinde« nach ihm aus, um ein so wichtiges Glied der zukünftigen Völkergemeinschaft vom Abgrunde zurückzureißen, ihm zu helfen, wenn anders es nur zur Vernunft kommen und sich in die wirklichen Notwendigkeiten der Weltstunde finden will, statt sich irgendeine falschheilige Sagennot zu erträumen. Ja, die Bedrohten und Aufgehaltenen müssen ihm schließlich noch helfen, damit es nicht den Erdteil mit sich reiße und gar in den Krieg ausbreche, auf den es, als auf die ultima ratio, immer noch die Augen gerichtet hält. Die reifen und gebildeten Staaten — wobei ich unter »Bildung« die Bekanntschaft mit der grundlegenden Tatsache verstehe, daß der Krieg nicht mehr erlaubt ist — behandeln dies große, gefährdete und alles gefährdende Land oder vielmehr die unmöglichen Führer, denen es in die Hände gefallen, wie Ärzte den Kranken: mit größter Nachsicht und Vorsicht, mit unerschöpflicher, wenn auch nicht gerade ehrenvoller Geduld; jene aber glauben, »Politik«, Macht- und Hegemonie-Politik gegen sie treiben zu sollen. Das ist ein ungleiches Spiel. Macht einer »Politik«, wo die anderen an Politik gar nicht mehr denken, sondern an den Frieden, so fallen ihm vorübergehend gewisse Vorteile zu. Die anachronistische Unwissenheit darüber, daß der Krieg nicht mehr statthaft ist, trägt selbstverständlich eine Weile »Erfolge« ein über die, die es wissen. Aber wehe dem Volk, das, weil es nicht mehr ein noch aus weiß, am Ende wirklich seinen Ausweg in den Gott und Menschen verhaßten Greuel des Krieges suchte! Dies Volk wäre verloren. Es wird geschlagen werden, daß es sich nie wieder erhebt.

[ ... ]

Küsnacht am Zürichsee, Neujahr 1937
Die Texte dieses Briefwechsels sind in gekürzter Form dem Lesebuch der Klassen 9/10 der POS der DDR entnommen.

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