Dienstag, 14. Oktober 2008

An den Chefredakteur von DWDL.de

Gerade hab ich einen Leserbrief an die Redaktion des Medienmagazins DWDL.de geschrieben. Grund waren ein paar offene Fragen meinerseits zum Artikel "Urteil ohne Kenntnis: Der Irrtum des Reich-Ranicki". Leider gibt es auf DWDL.de keine Möglichkeit einzelne Artikel zu kommentieren. Deshalb gibt es an dieser Stelle den Inhalt meines Anschreibens:

Sehr geehrter Herr Thomas Lückerath,

Vielen Dank für Ihre Artikel zum Deutschen Fernsehpreis auf DWDL.de.

Ihr letzter Artikel ("Urteil ohne Kenntnis: Der Irrtum des Reich-Ranicki") wirft für mich allerdings mehr Fragen auf, als er versucht zu beantworten. Der Artikel enthält außerdem einige grobe Unwahrheiten.
Sie schreiben, dass Reich-Ranicki aus seiner Rede eine Pauschalkritik am deutschen Fernsehen macht. Das ist Interpretationssache; Trotz des Zeitdruckes und der Improvisation der Rede hat Reich-Ranicki - ganz routiniert - doch nicht vergessen auch positive Beispiele zu bringen ("Wichtige Dinge auf Arte", "3sat kein Blödsinn"). Seine Kritik wurde an das versammelte Publikum gerichtet - eben genau die Leute, welche die vorher ausgezeichneten Inhalte zu verantworten hatten und die ihm über die Vergabe ihrer Auszeichnung in ihre Reihen aufnehmen wollten. Deshalb kann von einer Pauschalkritik keine Rede sein.

Sie schreiben, dass es sicher "nicht verkehrt gewesen" wäre, eine handfeste Kritik am Deutschen Fernsehpreis zu üben. Was aber ist denn das Maximum dessen, was man in dieser konkreten Situation (oben auf der Bühne neben dem aufgescheuchten Gottschalk) tatsächlich bringen kann? Liegt Herr Reich-Ranicki da nicht schon nahe dran? Welcher deutsche Prominente hätte die notwendige Kritik denn Ihrer Meinung nach handfester bringen können? Welcher andere Prominente hat denn überhaupt Kritik geäußert?

Ihr gezogener Vergleich mit dem Buchhandel/Buchdruck ist so ungelenk, dass man sich Ausführungen dazu eigentlich sparen kann. Wenn man schon eine Parallele zur Literatur ziehen will, dann müsste man in diesem Falle schon eher einen Preis für Unterhaltungs- oder Trivialliteratur hernehmen.

Ihre unbegründet in den Raum gestellte Unterstellung, Reich-Ranicki sei nicht medienkompetent genug um das Medium Fernsehen richtig einzuschätzen und der daraus gezogene Schluss, dass seine Kritik schon deshalb falsch ist, ist kontradiktorisch: Laut Ihrer Aussage ist der Fernsehmoderator und Träger des Bayrischen Fernsehpreises nicht kompetent genug um das Fernsehen anständig zu nutzen (gute Inhalte von schlechten zu selektieren) - wie wird es unter dieser Voraussetzung dem "normalen" Zuschauer ergehen? Und was kann man daraus letztlich über die Gestaltungsqualität der über das Medium vermittelten Inhalte ableiten?

Weiterhin vertreten Sie offenbar die Meinung, dass die Qualität des Fernsehens gestiegen ist ("Es ['das Fernsehen'] war nie so gut wie heute"). Da stellt sich dem Leser natürlich zuerst die Frage, wie der Autor "gut" definiert. Ihren Erklärungen zur wachsenden Bandbreite ("breitere Auswahl") und Reichweite ("neben dem breiten Publikum") steht Ihre dazu im Widerspruch liegende Aussage "auch wenn der Müll drumherum ebenso schnell wenn nicht sogar schneller wächst." gegenüber. Dieser Widerspruch bleibt ungeklärt: Vielleicht können Sie als Geschäftsführer und kompetenter Chefredakteur Ihres Medienmagazins einmal genauer definieren, was "gut" an der Entwicklung des deutschen Fernsehens ist. Bitte gehen Sie dabei auch auf den kulturerellen Feedbackeffekt ein, also dass es nicht nur eine kulturerell Beeinflussung des Rezipienten durch die Inhalte im Medium gibt, sondern selbstverständlich auch der Zuschauer mit seinem kulturellen "Bedarf" die Inhalte im Medium beeinflusst. Inwiefern dient unter diesem Gesichtspunkt beispielsweise die zunehmende Organisiation der Medien nach marktwirtschaftlichen Paradigmen dem von Ihnen definierten "Guten"?

Als Denkanstoß: War die Literatur im vorletzten Jahrhundert - vor der Erfindung der Rotationspresse und der Medienindustrie - trotz geringerer Bandbreite und Reichweite in Ihrer Gesamtqualität, im besonderen Maße bzgl. Ihres kulturellen Einflusses besser oder schlechter als zum heutigen Zeitpunkt zu bezeichnen?

Ich möchte Sie abschließend fragen: Möchten Sie wirklich in einer Reihe mit den Verantwortlichen für "Deutschland sucht den Superstar" genannt werden? Ist es nicht für jeden halbwegs gebildeten Menschen eine Demütigung, wenn diese Leute ungestraft behaupten können, dass das eigene Lebenswerk in deren Sinne war?


In Erwartung einer Stellungnahme verbleibe ich mit freundlichem Gruß,
S. Sorg


P.S. Ich werde neben dem Inhalt dieses Leserbriefes und auch Ihre Stellungnahme über mein Weblog (sysout.twoday.net) der Öffentlichkeit zugänglich machen. Falls Sie dem nicht zustimmen, bitte ich um eine entsprechene Mitteilung.

Aktualisierung: Die Antwort

Bereits vorgestern (am 14.10.08) erreichte mich das folgende Antwortschreiben von Herrn Lückerath:

Sehr geehrter Herr Sorg,

herzlichen Dank für den Leserbrief und die intensive Auseinandersetzung mit unserer Berichterstattung. Was kann es für einen Journalisten Schöneres geben? "Wer in der Öffentlichkeit kegelt, muss damit rechnen, dass andere die Punkte zählen": So gesehen hab ich Ihre Meinung mit Interesse gelesen und würde dazu gerne folgendes antworten. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das stichpunktartig tue. Zu mehr bleibt mir nicht die Zeit.

- Die Kritik von Reich-Ranicki war pauschal. Sie haben ihn auch falsch zitiert. Er beschwerte sich über 3sat. Seine Kritik richtete sich auch an all die ausgezeichneten Programme, also eben auch Beste Dokumentation oder Beste Reportage. Beste Serie oder Bestes Drehbuch. All das hat er in einem Satz abgewatscht - sehr pauschal.

- Statt Kritik an den Kategorien des Fernsehpreises zu üben (z.B. an der unsinnigen Kategorie "Beste Reality"), hat er einfach pauschal mal das gesamte Fernsehen kritisiert. Es geht doch nicht darum, wer noch Kritik hätte üben können. Es geht darum, wie konkret und berechtigt er sie üben kann. Reich-Ranicki hat über etwas gesprochen, von dem er ganz offensichtlich keine Ahnung hat.

- Der Vergleich mit der Literatur ist völlig korrekt. Niemand käme auf die Idee, allgemein die Literatur zu verteufeln. Reich-Ranicki tut dies mit dem Fernsehen.

- Sie unterstellen meinen Ausführungen einen Widerspruch, den ich beim besten Willen nicht erkennen kann. Deswegen brauche ich da auch keinen Widerspruch erklären sondern empfehle eher, noch einmal darüber nachzudenken: Wir haben heute deutlich mehr gutes Programm als z.B. noch vor zehn Jahren. Wir haben deutlich mehr Sender, deutlich differenzierte Angebote. Dementsprechend wird man so viel gute Programme finden, wie noch nie. Aber es gibt auch wesentlich mehr Schwachsinn im deutschen Fernsehen. Man muss eben heutzutage Medienkompetenz beweisen, um sich herauszusuchen, was man will bzw. einem gefällt. Das ist übrigens eine Eigenschaft, die man in der Literatur schon immer haben musste: Wer das falsche Buch liest, ist selbst schuld. Es gibt heute mehrere hundert Fernsehsender. Davon sind mit Sicherheit 270 Programme völlig belanglos. Dennoch sind 30 herausragende Sender mehr als früher insgesamt nur 3 oder 5. Es ist also ganz simpel und bedarf wahrlich keiner weiteren Erklärung mehr.

- Ihre Frage zum Zustand der Literatur im vorletzten Jahrhundert liegt so fern dessen, um was es geht, dass ich darauf nicht antworten werde.

- Sie unterstellen mir am Ende erneut, ich würde mich in eine Reihe mit den Verantwortlichen von "Deutschland sucht den Superstar" stellen wollen. Das habe ich nie gesagt, das habe ich nie nahe gelegt oder angedeutet: Wie Sie darauf kommen, ist für mich nicht nachzuvollziehen. Ich habe auch nicht gesagt, dass Reich-Ranicki den Preis hätte annehmen sollen. Er kann ihn ruhig ablehnen. Nur die Kritik hätte fachkundiger sein können.

- Letztendlich sprach jemand über das Fernsehen, der vom Fernsehen nur bedingt Ahnung hat. Das ist ja nicht schlimm, solange man sich kein Urteil anmaßt. Das hat sich Reich-Ranicki in einer sehr pauschalen Art und Weise herausgenommen.

Ich hoffe ich konnte einige Ihrer Fragen beantworten. Sie werden gesehen haben, dass wir in einigen Fragen entweder aneinander vorbei denken oder nicht auf einen grünen Zweig kommen werden. Dennoch herzlichen Dank für Ihre Fragen bzw. die Anregung sich nochmal mit dem Thema auseinander zu setzen. ...


Es ist sehr vorbildlich, dass die Antwort so schnell und recht ausführlich erfolgte. Doch trotz des erheblichen Umfangs der Darlegungen wird kaum auf meine Argumentation eingegangen. Es ist daher ein wenig bedauerlich, dass man dem vorletzten Satz um so mehr zustimmen muss.

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